Kleider machen Leute

von Elgin Hertel 

Rehab_Elgin_Bild

Neue Sandalen

Irgendwann im Sommer, während über meine Stadt die erste Hitzewelle hinweg rollt, denke ich, ich brauche endlich neue Sommerschuhe. Auf dem Rückweg vom Gemüseeinkauf springe ich also noch kurz in den Schuhladen nebenan und steige zwanzig Minuten später auf mein Fahrrad – mit einem Paar neuer Sandalen an den Füßen – für 19,99€.

Am selben Nachmittag telefoniere ich mit Markus und wir verabreden, dass ich einen Artikel über nachhaltige Kleidung für ´rehab republic´ schreibe. Es gibt bereits ein paar Ideen, doch am meisten beginnt mich die Frage zu interessieren: wieso habe ich mir heute eigentlich Schuhe gekauft?

Auf der Suche nach Antworten

Ich habe ein Studium in Umweltbiologie abgeschlossen und gehöre somit wohl zu denjenigen, die um die vielen Ratschläge für ein umweltverträgliches Leben Bescheid wissen. Warum aber verhalte ich mich dann trotzdem nicht durchgehend nachhaltig korrekt? Die Kluft zwischen Wissen und Handeln rührt wohl daher, dass es nicht allein die Fakten sind, aufgrund derer ich handle. Darüber hinaus sind es ein Netz aus emotionalen Bedürfnissen, Wünschen und Widersprüchlichkeiten, die es zu befriedigen gilt. Und würde ich Letztere besser verstehen, könnte ich dann eine Brücke über meine Kluft bauen?

Erste Frage: Warum kaufe ich mir Kleidung?

Kleidung schützt mich zunächst einmal vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Unterkühlung, Erfrierung oder Hitzeschäden. Dann und vor allem, ist Kleidung meine nonverbale Art der Kommunikation. Ich kommuniziere, wer ich bin: Ich bin individuell und unterstreiche durch meinen Kleidungsstil, dass ich etwas Besonders bin. Ich fühle mich gerne begehrenswert und bin attraktiv und putze mich dementsprechend heraus. Es könnte natürlich auch umgekehrt sein, dass ich betont keinen Wert auf meine Bekleidung lege, um eben nicht aufzufallen – so oder so, nicht kommunizieren geht fast nicht.

Darüber hinaus kommuniziere ich, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe ich mich zugehörig fühle. Dies ist eng an meine Orientierung und Sinnsuche der heutigen Zeit geknüpft, die so unübersichtlich geworden ist, mit ihren endlosen Möglichkeiten und Ansprüchen an mich. Durch meine äußere Erscheinung ordne ich ein und lasse mich einordnen. Es könnte gar eine Sinnsuche nach Idealen sein, wenn ich z.B. symbolisch aufgeladene Produkte wie Öko- und Fairtradekleidung konsumiere oder durch meinen 2nd Hand Look zu erkennen gebe, dass ich bewusst/er konsumiere.

Zweite Frage: Warum kaufe ich mir menschenunwürdig produzierte Kleidung?

Im heutigen Informationszeitalter kann ich schlecht behaupten, ich hätte es nicht besser gewusst. Ich hätte es zumindest besser wissen können. Aber mein Sommersandalenkauf für 19,99€ hat mir bewiesen, es hat mich in dem Moment nicht genug interessiert – warum?

Die Suche im Internet verrät mir, ich könnte unter einer kognitiven Dissonanz leiden. Es bedeutet u.a. wenn ich mich konträr zu meinen Überzeugungen verhalte und ich so durch unmoralisches Handeln negative Konsequenzen für mich oder andere hervorrufe. Um dieses Gefühl aufzulösen, erliege ich laut dem Sozialpsychologen Elliot Aronson (2008) gerne Scheinlösungen und Ausreden, um meine eigenen Spannungen zu reduzieren. Man könnte auch sagen: entweder passe ich mein Verhalten meiner Überzeugung an oder meine Überzeugung meinem Verhalten: Ich musste diese Sandalen kaufen, weil ich mir keine teureren Sandalen leisten kann!

Ferner lebe ich in einem orientierungslosen und schnelllebigen Zeitalter. Das Streben nach Selbsterfüllung wird als höchstes Gut vermarktet und an jeder Ecke versprechen mir Werbebanner, es wird sich wunderbar anfühlen, wenn ich dabei bleibe, wenn ich weiter Neues konsumiere. Gesteigertes Selbstwertgefühl durch meine neuen Sandalen? Mein „leeres“ Selbst aufgefüllt vom Identifikationsangebot der kommerzialisierten Gesellschaft in einer Kultur des Konsumierens? JA, das ist das Versprechen.

Eine weitere Erklärung meiner unmoralischen Errungenschaft liegt vielleicht ebenso in der emotionalen Distanz, die ich zu der Wertschöpfungskette meiner Sandalen habe, besungen von Funny van Dannen in dem Lied `Räumliche Distanz`: Während du verliebt bist sind andere völlig verzweifelt / Und während du verwöhnt wirst werden andere von Bomben zerfetzt /
Das hört sich schlimm an – ist es aber nicht ganz. Denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz (…) .

Mein Fazit

elgin

______________

Trotz Informationszeitalter und voranschreitender Umweltsensibilisierung, es ist nicht einfach ein guter Konsument zu sein. Ich kann Öko- und Fairtradekleidung konsumieren, ich kann Second Hand statt neu kaufen, ich kann Kleider tauschen, ich kann alte Stücke reparieren/lassen, aber am Ende ist die eindringlichste Frage vielleicht, in wie weit ich mich überhaupt über den Begriff Konsum definieren möchte? Ich denke, wir müssen ab und zu mal Innehalten und still sein, das globale Chaos von uns abschüttlen, um uns dann zu fragen, was macht wirklich glücklich? Und ich bin sicher, meine Antwort diesen Sommer im Schuhladen, sie hätte nicht neue Sommersandalen für 19,99€ geheißen.

Tipps zum Nachahmen

  • Sich vor dem nächsten Neukauf überlegen, brauch ich das wirklich? Und falls nein, das Geld in die Spardose stecken und für eine konkrete Idee sparen: Theaterbesuch, Wochenendausflug, für einen guten Zweck spenden etc.
  • Das 30 Tage Experiment: sich 30 Tage nichts neues anschaffen; sich 30 Tage jeden Tag von einem Kleidungsstück oder Ding trennen, 30 Tage nur die zehn Lieblingsklamotten tragen … denk Dir was aus und schreib hier drüber!

 

Quellen

Neben meinen ganz persönlichen Hirnschmalz nutzte ich noch folgende wissenschaftliche Quellen

  • E. Aronson, T. D. Wilson, R. M. Akert: Sozialpsychologie. Pearson Studium. 6. Auflage 2008. S. 163 ff
  • Carter, T.J. & Gilovich, T. The Relative Relativity of Material and Experiential Purchases. Journal of Personality and Social Psychology 2010, Vol. 98, No.1, 146-159
  • Van Boven, L. To Do or to Have? That Is the Question. Journal of Personality and Social Psychology 2003, Vol. 85, No.6, 1193-1202